Rotschwänzchen und Zaunkönige
Es gibt Singvogelarten, die Nisthöhlen bevorzugen. Andere nisten ganz einfach im Geäst einer Hecke, manche brüten auf dem Boden. Wieder andere suchen sich verborgene Nischen. Ein Garten-Rotschwänzchen etwa nimmt gerne einen Nistkasten an. Rotschwänzchen sind allerdings Zugvögel. Wenn sie im Frühjahr aus dem Süden zurückkehren, sind viele Nistkästen schon belegt. Dann suchen sie sich notgedrungen irgendeine geschützte Nische. Die findet sich am Geräteschuppen, an einem Baum oder irgendwo sonst. Es muss jedenfalls keine Höhle sein. Statt Halbhöhlenbrüter sagt man deshalb auch Nischenbrüter.
Zu den Halbhöhlenbrütern zählen Gartenrotschwänzchen und der Zaunkönig. Sehr bekannt sind auch das Rotkehlchen und die Bachstelze. In der Umgebung des Menschen nisten Nischenbrüter häufig auch unter einem schützenden Dachvorsprung. Größere Lücken in gestapeltem Holz werden z.B. von Amseln gerne besiedelt.
Stark vergröbert könnte man Halbhöhlenbrüter zwei unterschiedlichen Gruppen zuordnen:
- Vögel, die einfach nicht besonders wählerisch sind und nehmen, was sie bekommen können
- Vögel, die gerne mehr Licht und Luft um sich haben als reine Höhlenbrüter und die deshalb keine echte Höhle suchen
Zur ersten Gruppe gehören jedenfalls die Gartenrotschwänzchen. Typisch für die zweite Gruppe wäre die Amsel.
Mindestens drei Motive sprechen für die Wahl einer Nische anstelle eines Nests im Geäst:
- Besserer Schutz vor Wind und Wetter
- Besserer Schutz vor Feinden
- Besseres Versteck
Die vielen Unterschiede haben ein Gutes: Wir können Nischenbrüter mit ganz unterschiedlichen Nisthöhlen unterstützen.
Unsere Wahrnehmung
Unsere Wahrnehmung ist ein wenig verzerrt, was die Nistgelegenheiten der Singvögel angeht. Es gibt keinen 28-mm-Specht, der die Behausungen für Blaumeisen zimmert. Kein Specht baut sich drei Einfluglöcher, damit es später ein Rotschwänzchen schön hell hat. Singvögel, die sich nach den Vorstellungen der Menschen verhalten müssten, wären längst ausgestorben.
Garten-Rotschwänzchen scheinen dennoch Höhlen mit mehreren Einfluglöchern vorzuziehen. Jedenfalls sind das die Nistkästen, in denen wir dann bevorzugt Rotschwänzchen vorfinden. Aber vermutlich ist das so, weil Meisen das gerade nicht mögen. Die Nistgelegenheit ist deshalb noch frei, wenn die Rotschwänzchen aus dem Süden zurückkehren.
Man sollte sich aber nicht täuschen lassen: Die Natur hält sich nicht an zu einfache Wahrheiten. Es kommt auch vor, dass Kohlmeisen Nistkästen für Halbhöhlenbrüter mit mehreren Einfluggelegenheiten belegen. Dann hat das Rotschwänzchen Pech gehabt.
Und außerdem: Rotschwänzchen sind Insektenfresser. In unseren Gärten gibt es oft kaum noch Insekten. Ein passender Nistkasten alleine reicht nicht immer.
Offenbrüter und Höhlenbrüter
Die klare Abgrenzung, die wir Menschen gerne machen, gibt es in der Natur nicht. Blaumeisen etwa kennen wir nur als Höhlenbrüter. Im Mittelmeerraum sollen sie aber auch offen im Geäst nisten. Jedenfalls, wenn keine Höhle verfügbar ist. Natur passt sich an. Amseln überwintern bei uns, waren aber in der Kälteperiode vor zweihundert Jahren Zugvögel.
Die Natur ist viel flexibler, als wir denken. Sie kommt ohne Menschen aus. Aber eines solltest Du bedenken: In einer Nisthöhle überlebt im Durchschnitt ein Mehrfaches an Nachwuchs. Wenn wir die natürlichen Nistgelegenheiten aus der Landschaft räumen, braucht es Ersatz. Dafür sind wir Menschen verantwortlich. Hilf mit.